„Welche Bedürfnisse hat der Mensch?“ Mit dieser Frage haben sich schon viele Fachleute beschäftigt. Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908-1970) hat dabei Folgendes bemerkt: In unangenehmen Situationen kann es helfen, wenn wir uns die momentan vorherrschenden Bedürfnisse klarmachen. So sind wir zum Beispiel in einem lauten, überfüllten Bus oft reizbar und fühlen uns genervt. Wir verspüren dann das Bedürfnis nach Ruhe. In dem Moment kann uns der Gedanke helfen, in absehbarer Zeit etwas dafür zu tun. Wir können uns zum Beispiel vornehmen, am Wochenende im Wald spazieren zu gehen.

Auch in zwischenmenschlichen Konflikten ist die Bedürfnisklärung der erste Schritt zur Lösung. Dabei ist wichtig zu wissen, dass unsere Bedürfnisse nie im Konflikt zueinanderstehen. Jeder Mensch hat die gleichen Bedürfnisse. Was einen Konflikt auslöst, ist immer nur die Strategie, wie das Bedürfnis befriedigt werden soll. Ohne das Verständnis der Bedürfnisse, wird sich ein Konflikt also nicht dauerhaft lösen lassen.

Unsere Wunschvorstellungen sind für andere Menschen nicht immer erkennbar. Manchmal fehlen uns auch die Worte, sie zu benennen und einzuordnen. Die Bedürfnisse an sich sind uns nicht unbewusst. Doch lassen sie sich nicht in Zahlen oder Fakten ausdrücken. Daher fällt es uns oft schwer, darüber zu sprechen. Das ist aber notwendig, um Konflikte zu lösen, die auf unbefriedigten Bedürfnissen beruhen.

Welche Bedürfnisse gibt es?

Der Psychologe Maslow hat fünf verschiedene Bedürfnisgruppen identifiziert:

  1. Physiologische Bedürfnisse (Grundbedürfnisse, wie die Versorgung mit Nahrung und Wasser, den Schutz vor Kälte etc.)
  2. Sicherheitsbedürfnisse (wie die finanzielle Sicherheit)
  3. Soziale Bedürfnisse (wie erfüllende Beziehungen zu anderen Menschen)
  4. Individualbedürfnisse (wie Erfolg und Ansehen, Freiheitsstreben oder Unabhängigkeit)
  5. Selbstverwirklichung (wie ein beruflicher Aufstieg)

Später ergänzte Maslow diese fünf Gruppen um die Transzendenz. So kann es einem Menschen zum wichtigen Bedürfnis werden, über sich hinaus zu wachsen und sich als Teil von etwas Größerem zu begreifen.

Bedürfnisse erwachsen in Wellen

Da die Bedürfnisse eine gewisse Hierarchie aufweisen, werden sie häufig als Pyramide dargestellt. Die sogenannte Maslowsche Bedürfnispyramide stammt allerdings nicht von Maslow selbst.

Sie ist als Modell auch eher ungeeignet. Denn sie verführt dazu zu glauben, dass man in der menschlichen Entwicklung einfach Stufe für Stufe die Pyramide emporsteigt. Dies entspricht aber nicht dem menschlichen Wesen. Denn jeder hat zu jedem Zeitpunkt andere Bedürfnisse. Sie zeigen sich in bestimmten Gefühlen und treten zum Teil auch gleichzeitig auf. Meist ist dann ein Bedürfnis die Triebfeder für eine Handlung und tritt deshalb vordergründig in Erscheinung. So zeigen sich bei einer Trennung oft die Gefühle Wut und Trauer. Diese deuten auf den dahinterliegenden Wunsch nach Sicherheit und Verbundenheit hin.

Besser als in einer Pyramide lassen sich die Bedürfnisse in einem Diagramm verorten. Die dynamische Darstellung zeigt, wie sich die Intensität der Bedürfnisse im Laufe der Entwicklung eines Menschen verändert. Die Wellen machen dabei deutlich, welche Bedürfnisse (von links nach rechts) zeitgleich vorhanden sind und in unserem Leben „mitschwingen“.

Mediation hilft, die Bedürfnisse zu klären

In einer Mediation können Konflikte analysiert und gelöst werden. Dabei sollten die Konfliktparteien zunächst erkennen, was dem Konflikt zugrunde liegt. Meist wurde ein bestimmtes Bedürfnis nicht ausreichend beachtet und befriedigt.

Konflikte entstehen immer dann, wenn wir uns auf eine bestimmte Strategie festgelegt haben, um unser Bedürfnis zu erfüllen. Dieser Weg erscheint uns dann alternativlos. Dabei liegt es in unserer Hand, für die Erfüllung unserer Bedürfnisse zu sorgen – und zur Not dafür auch andere Wege zu gehen.

Wenn sich die beiden Konfliktparteien über ihre jeweiligen Bedürfnisse austauschen, kommt in der Regel Verständnis füreinander auf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bedürfnis vom Gegenüber erfüllt werden muss.

Neue Einsichten – neue Wege

Werden wir uns unserer Bedürfnisse bewusst, können wir nach Wegen suchen, sie zu befriedigen. Die vorher als alternativlos empfundene Strategie sehen wir dann nicht mehr als einzige Möglichkeit an. Denn oft gibt es mehr als nur einen Weg.

Mit dieser Erkenntnis werden wir uns frei fühlen, auch andere Strategien zu akzeptieren. Im Rahmen der Mediation geht es also darum, Strategien und Bedürfnisse aufzuspüren und gemeinsam nach einer guten Lösung zu suchen.

Mit Selbsterkenntnis zur mehr persönlicher Freiheit

Durch das Erkennen der eigenen Bedürfnisse kann sich auch die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln: Bin ich mir meiner Bedürfnisse bewusst, kann ich für sie eintreten. Dies wird mir Kraft geben, Antrieb schaffen und meine Eigenverantwortlichkeit stärken. Gleichzeitig lerne ich aber auch, mein Gegenüber zu verstehen. Ich sehe dann seine Bedürfnisse und nehme nicht (nur) seinen Ärger oder Frust wahr.

Alternative: Stellvertretermediation

Die Erkenntnis, dass jeder Bedürfnisse hat und diese berücksichtigt werden müssen, ist die Grundlage jeder Mediation. Nur so lassen sich Konflikte zufriedenstellend lösen. Doch auch wenn eine der Konfliktparteien nicht dazu bereit ist, kann im Rahmen einer sogenannten Stellvertretermediation mit nur einer Partei gearbeitet werden.

Ein speziell geschultes Mediatorenteam stellt gemeinsam mit der konfliktbelasteten Person durch bestimmte Methoden das Verhalten des abwesenden Konfliktpartners nach. Diese Art der Mediation orientiert sich dabei an der systemischen Familienaufstellung. Hierdurch kann auch bei einer „one man mediation“ (Mediation mit einer Person) Klarheit über die Situation und den Konflikt gewonnen werden. So ist es möglich, dass es zu einer Entspannung des Konflikts kommt, ohne dass alle Beteiligten gemeinsam an einem Tisch gesessen haben.